TROPHÄEN DER ZEIT
Ausstellung Jagdhütte, Wald, Seebenstein
Text und Eröffnung: Josseline Engeler, 2021
Ich begrüße Sie herzlich an einem für diesen Anlass selten genutzten Ort: im Seebensteiner Wald an einer Jagdhütte zur Eröffnung von „Trophäen der Zeit“ von Verena Prenner.
Es handelt sich um eine temporäre installative Präsentation von Fotoarbeiten im öffentlichen Raum. In der Fotoserie „Trophäen der Zeit“, die wir hier in Kombination mit einer dreidimensionalen Hirschmaske sehen und auch durch die Art der Präsentation dieser künstlerischen Arbeit, untersucht Verena Prenner eine mögliche Parallele der Fotografie zur Jagd, auf die u.a. auch die amerikanische Schriftstellerin und Kunstkritikerin Susan Sontag hingewiesen hat. Diese schrieb 1977 in ihrem Essay „In Platons Höhle“ folgendes:
„Das Kameragewehr tötet nicht. Dennoch haftet dem Akt des Fotografierens etwas Räuberisches an. Menschen fotografieren heißt ihnen Gewalt anzutun, indem man sie so sieht, wie sie selbst sich niemals sehen, indem man etwas von ihnen erfährt, was sie selbst nie erfahren. Es verwandelt die Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann. Wie die Kamera eine Sublimierung des Gewehrs ist, so ist das Abfototografieren eines Anderen sublimierter Mord – ein sanfter, einem traurigen und ver- ängstigten Zeitalter angemessener Mord.“ (Susan Sontag, In Platons Höhle, 1977)
Nun ist die Jagd sicherlich nicht mit Mord gleichzusetzen und Verena Prenners fotografische Reisen auch nicht unbedingt mit einer Safari.
Damit wir verstehen können, wie Verena Prenner zur Entwicklung dieses Werkzyklus „Trophäen der Zeit“ gekommen ist, werde ich Ihnen die Geschichte dahinter erzählen: 2018 fand ein Nachbar von ihr in Linz im Keller seines Wohnhauses eine Zigarrenbox mit zweihundert Original-Kontaktabzügen des österreichischen Jägers und Afrika- forschers Rudolf Grauer. Diese zeigten sowohl Landschafts- und Detailaufnahmen, als auch immer wieder Rudolf Grauer auf soeben erlegten Wildtieren sitzend. Auf seiner kolonialen Jägermission im Kongo, von 1904 bis 1906, hatte Rudolf Grauer selbst diese Aufnahmen gemacht. Er unternahm für europäische Museen, wie auch das öster- reichische Hofmuseum, Sammelexpeditionen in Zentralafrika und brachte so mehr als 70.000 exotische Säugetiere, Reptilien, Amphibien und Insekten als Exponate nach Europa. Verena Prenners Nachbar ahnte, dass es sich bei den Fotografien um einen außergewöhnlichen Fund handeln musste und händigte sie ihr aus – im Wissen, das sie bei ihr gut aufgehoben waren.
Auf einer ihrer darauffolgenden Reisen für ein Fotoprojekt in Palästina erhielt Verena Prenner - wie der Zufall es so wollte - tatsächlich eine Einladung, ein Fotobuchprojekt in der Republik Kongo zu realisieren.
Sie nahm den Auftrag an und reiste von 2019 bis 2020 für insgesamt 9 Monate – bis zum Ausbruch der Coronapandemie - in die Republik Kongo, um dort Material für ein Fotobuch zu sammeln, das bestenfalls den Kongo idealisieren, die schönen Seiten des Kongos festhalten sollte.
Die Frage, die sie sich während ihres Aufenthaltes in Zentralafrika immer wieder stellte, war jene des Unterschiedes zwischen einem Trophäenjäger wie Rudolf Grauer, der rund hundert Jahre vorher durch dieses Land gestreift war, und einer Fotografin. Letztlich ist das Fotobuch mit den „schönen“ kongolesischen Fotografien nie zustande gekommen, denn während der Monate im Kongo, in einem Land, in dem große Armut herrscht und die durchschnittliche Lebenserwartung bei 5o Jahren liegt, ist es Verena Prenner unmöglich geworden, das Erwartete abzuliefern. Stattdessen entschied sie sich die Fotos, die sie in ihrer üblichen künstlerischen Bildsprache inszeniert hatte, als ihre persönlichen „Trophäen“ mit nach Österreich zu nehmen. Die unzähligen anderen im Kongo entstandenen Fotos zeigt sie uns hier nicht.
Sie sagt selber zur Form der Präsentation: „Der Ausstellungsort, eine Jagdhütte, an der neben Bildtrophäen auch Jagdtrophäen gezeigt werden, wurde nicht nur Coronabedingt gewählt, sondern hat auch symbolischen Charakter, denn schon die antiken griechischen Feldherren, haben sogenannte Tropaia also Siegeszeichen, nach dem Bezwingen der Feinde am Schlachtfeld aufgestellt und öffentlich zur Schau gestellt.“
An dieser Stelle möchte ich ein paar allgemeine Worte zum Schaffen der Soziologin und Künstlerin Verena Prenner sagen. Sie stammt aus Seebenstein und hat zwischenzeitlich die halbe Welt bereist, um uns hier im Wald ihre Arbeit zu präsentieren. Sie befasst sich in ihrer künstlerischen Praxis hauptsächlich mit analoger Fotografie. Ihre Werke wurden in unzähligen Galerien, Museen und auf Festivals in der ganzen Welt ausgestellt, vom Delhi Photo Festival in Indien über das Birmingham Art Museum in Großbritannien bis hin zum Obscura Festival of Photography in Malaysien um nur einige zu nennen. Auch in Öster- reich war und ist sie seit Jahren in zahlreichen Ausstellungen vertreten. In ihrer Arbeit vereint sie soziologisches Forschen mit künstlerischer Fotografie. Am einfachsten ist dies` an ihren in Palästina entstandenen Fotoserien, wie z.B. „Camping“ (es erscheint im Herbst ein Fotobuch zu dieser Arbeit) oder „Contained“ nachzuvollziehen. Insgesamt hat sie für ihre soziologisch-fotografischen Studien selber 1,5 Jahre in einem Flüchtlingscamp in Ramallah gelebt.
Sie vereint für mich in ihren Arbeiten zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Der Spannungsbogen, den sie schlägt, spiegelt ihre sowohl soziologische als auch foto- grafische Ausbildung wider, ist aber mehr als das, er ist Teil ihrer Persönlichkeit und wurde somit auch Teil ihrer künstlerischen Praxis. Zwischen den Polen reisend, nicht angekommen, aber doch tief verwurzelt. Am ehesten verwurzelt in der Veränderung, der Bewegung, letztlich der Grundlage des Menschseins. Verena Prenner begibt sich für ihre Projekte oft in Situationen, die ein Großteil der Menschheit eher zu vermeiden sucht. Sie geht nah heran und sucht den Kern des Geschehens, den Punkt an dem der Konflikt Teil des Alltags ist – sie geht so nah heran, dass die Grenzen verschwimmen.
Sie ist nicht nur Beobachtende, Fremde, sondern sie ist auf einmal auch Betroffene, Nachbarin, wenn sie wie 2014 im israelischen Gazakrieg selbst die Fenster im Camp geschlossen halten muß, wegen der Tränengasbomben, wenn sie sozusagen „neben- bei“ auf arabischen Hochzeiten im Camp als Hochzeitsfotografin agiert, wenn sie mit rationiertem Wasser aus PET Flaschen duscht und mit den Frauen im Camp kocht und auch wenn der Sohn der befreundeten Nachbarsfamilie nicht mehr lebend nach Hause kommt.
Doch im Moment der künstlerischen Inszenierungen - denn das sind Verena Prenners Fotografien ganz offenkundig - exponiert sie niemanden, zeigt kein Gesicht, zerrt kein persönliches Leid vor die Linse. Ihre Fotografie befriedigt keinen Voyeurismus.
Sie transponiert die erlebte, alltägliche Nähe nicht durch plakative Zur-Schaustellung, sondern verhüllt für ihre Fotoarbeit stattdessen ihre Modelle. Trotz oder wegen der minutiösen soziologischen Untersuchung der Orte, Menschen, Konflikte und ihrer Zusammenhänge, begibt sie sich im Moment der künstlerischen Inszenierung in eine fast kindliche Losgelöstheit von der umgebenden Situation. Sie bleibt im kreativen Prozess bei sich. Erschafft aus sich selbst heraus, frei assoziierend Maskeraden und Kostüme aus den verschiedensten Materialien, die ihren Modellen in ihren jeweiligen Szenerien
Anonymi- tät und ihren Fotografien oftmals eine Versponnenheit und Absurdität verleihen. Es ist diese Leichtigkeit und Verspielheit, die den Betrachter in einer Weise berührt, die eine dokumentarische Fotografie an dieser Stelle nie erreichen könnte. Sie erzählt in einem Bild von der Gleichzeitigkeit aller Dinge.
Wirkliche Trophäen sind die Fotos hier an der Jagdhütte demnach aus meiner Sicht also nicht. Sie lassen den Abgebildeten zu viel Würde. Sie erzählen viel zu wenig Konkretes. Da Verena Prenner um die „räuberische Qualität“ der Fotografie weiß, schafft sie Intimität lieber durch Distanzierung. Wir sehen die Nähe dennoch, denn jeder von uns ahnt wohl, dass diese Form der Inszenierung ohne Berührung zwischen Fotografin und Modell gar nicht möglich wäre. Und natürlich sind diese Arbeiten letztlich auch ein foto- grafisches Zeugnis dafür, wo Verena Prenner gewesen ist. Ein Beweis für eine erfolgreich beendete Jagd nach einem gewünschten Motiv.
Ihre Mischung aus analytisch-soziologischer Betrachtung und einer persönlichen Fähigkeit zum Sich-Treiben-Lassen, Sich-Abkoppeln von der Welt gipfelt in einer zunächst absurden und immer auch humorvollen Bildsprache.
In der Gleichzeitigkeit und Kompromisslosigkeit ihres Schaffens bildet sie für mich auf schonungslose Weise die Komplexität unserer Welt ab. Das Unsägliche ist Teil der Normalität. Wir sind alle Akteur*innen. Das Leben ist ein dramatische Komödie. Wie schon William Shakespeare sagte: „All the world`s a stage!“ - Die ganze Welt ist eine Bühne! In diesem Sinne genießen sie auch heute die Vorführung und machen Sie sich ihre eigenen Gedanken über die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Jagdtrophäen und Fotografie.
TROPHÄEN DER ZEIT
Ausstellung Jagdhütte, Wald, Seebenstein
Text und Eröffnung: Josseline Engeler, 2021
Ich begrüße Sie herzlich an einem für diesen Anlass selten genutzten Ort: im Seebensteiner Wald an einer Jagdhütte zur Eröffnung von „Trophäen der Zeit“ von Verena Prenner.
Es handelt sich um eine temporäre installative Präsentation von Fotoarbeiten im öffentlichen Raum. In der Fotoserie „Trophäen der Zeit“, die wir hier in Kombination mit einer dreidimensionalen Hirschmaske sehen und auch durch die Art der Präsentation dieser künstlerischen Arbeit, untersucht Verena Prenner eine mögliche Parallele der Fotografie zur Jagd, auf die u.a. auch die amerikanische Schriftstellerin und Kunstkritikerin Susan Sontag hingewiesen hat. Diese schrieb 1977 in ihrem Essay „In Platons Höhle“ folgendes:
„Das Kameragewehr tötet nicht. Dennoch haftet dem Akt des Fotografierens etwas Räuberisches an. Menschen fotografieren heißt ihnen Gewalt anzutun, indem man sie so sieht, wie sie selbst sich niemals sehen, indem man etwas von ihnen erfährt, was sie selbst nie erfahren. Es verwandelt die Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann. Wie die Kamera eine Sublimierung des Gewehrs ist, so ist das Abfototografieren eines Anderen sublimierter Mord – ein sanfter, einem traurigen und ver- ängstigten Zeitalter angemessener Mord.“ (Susan Sontag, In Platons Höhle, 1977)
Nun ist die Jagd sicherlich nicht mit Mord gleichzusetzen und Verena Prenners fotografische Reisen auch nicht unbedingt mit einer Safari.
Damit wir verstehen können, wie Verena Prenner zur Entwicklung dieses Werkzyklus „Trophäen der Zeit“ gekommen ist, werde ich Ihnen die Geschichte dahinter erzählen: 2018 fand ein Nachbar von ihr in Linz im Keller seines Wohnhauses eine Zigarrenbox mit zweihundert Original-Kontaktabzügen des österreichischen Jägers und Afrika- forschers Rudolf Grauer. Diese zeigten sowohl Landschafts- und Detailaufnahmen, als auch immer wieder Rudolf Grauer auf soeben erlegten Wildtieren sitzend. Auf seiner kolonialen Jägermission im Kongo, von 1904 bis 1906, hatte Rudolf Grauer selbst diese Aufnahmen gemacht. Er unternahm für europäische Museen, wie auch das öster- reichische Hofmuseum, Sammelexpeditionen in Zentralafrika und brachte so mehr als 70.000 exotische Säugetiere, Reptilien, Amphibien und Insekten als Exponate nach Europa. Verena Prenners Nachbar ahnte, dass es sich bei den Fotografien um einen außergewöhnlichen Fund handeln musste und händigte sie ihr aus – im Wissen, das sie bei ihr gut aufgehoben waren.
Auf einer ihrer darauffolgenden Reisen für ein Fotoprojekt in Palästina erhielt Verena Prenner - wie der Zufall es so wollte - tatsächlich eine Einladung, ein Fotobuchprojekt in der Republik Kongo zu realisieren.
Sie nahm den Auftrag an und reiste von 2019 bis 2020 für insgesamt 9 Monate – bis zum Ausbruch der Coronapandemie - in die Republik Kongo, um dort Material für ein Fotobuch zu sammeln, das bestenfalls den Kongo idealisieren, die schönen Seiten des Kongos festhalten sollte.
Die Frage, die sie sich während ihres Aufenthaltes in Zentralafrika immer wieder stellte, war jene des Unterschiedes zwischen einem Trophäenjäger wie Rudolf Grauer, der rund hundert Jahre vorher durch dieses Land gestreift war, und einer Fotografin. Letztlich ist das Fotobuch mit den „schönen“ kongolesischen Fotografien nie zustande gekommen, denn während der Monate im Kongo, in einem Land, in dem große Armut herrscht und die durchschnittliche Lebenserwartung bei 5o Jahren liegt, ist es Verena Prenner unmöglich geworden, das Erwartete abzuliefern. Stattdessen entschied sie sich die Fotos, die sie in ihrer üblichen künstlerischen Bildsprache inszeniert hatte, als ihre persönlichen „Trophäen“ mit nach Österreich zu nehmen. Die unzähligen anderen im Kongo entstandenen Fotos zeigt sie uns hier nicht.
Sie sagt selber zur Form der Präsentation: „Der Ausstellungsort, eine Jagdhütte, an der neben Bildtrophäen auch Jagdtrophäen gezeigt werden, wurde nicht nur Coronabedingt gewählt, sondern hat auch symbolischen Charakter, denn schon die antiken griechischen Feldherren, haben sogenannte Tropaia also Siegeszeichen, nach dem Bezwingen der Feinde am Schlachtfeld aufgestellt und öffentlich zur Schau gestellt.“
An dieser Stelle möchte ich ein paar allgemeine Worte zum Schaffen der Soziologin und Künstlerin Verena Prenner sagen. Sie stammt aus Seebenstein und hat zwischenzeitlich die halbe Welt bereist, um uns hier im Wald ihre Arbeit zu präsentieren. Sie befasst sich in ihrer künstlerischen Praxis hauptsächlich mit analoger Fotografie. Ihre Werke wurden in unzähligen Galerien, Museen und auf Festivals in der ganzen Welt ausgestellt, vom Delhi Photo Festival in Indien über das Birmingham Art Museum in Großbritannien bis hin zum Obscura Festival of Photography in Malaysien um nur einige zu nennen. Auch in Öster- reich war und ist sie seit Jahren in zahlreichen Ausstellungen vertreten. In ihrer Arbeit vereint sie soziologisches Forschen mit künstlerischer Fotografie. Am einfachsten ist dies` an ihren in Palästina entstandenen Fotoserien, wie z.B. „Camping“ (es erscheint im Herbst ein Fotobuch zu dieser Arbeit) oder „Contained“ nachzuvollziehen. Insgesamt hat sie für ihre soziologisch-fotografischen Studien selber 1,5 Jahre in einem Flüchtlingscamp in Ramallah gelebt.
Sie vereint für mich in ihren Arbeiten zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Der Spannungsbogen, den sie schlägt, spiegelt ihre sowohl soziologische als auch foto- grafische Ausbildung wider, ist aber mehr als das, er ist Teil ihrer Persönlichkeit und wurde somit auch Teil ihrer künstlerischen Praxis. Zwischen den Polen reisend, nicht angekommen, aber doch tief verwurzelt. Am ehesten verwurzelt in der Veränderung, der Bewegung, letztlich der Grundlage des Menschseins. Verena Prenner begibt sich für ihre Projekte oft in Situationen, die ein Großteil der Menschheit eher zu vermeiden sucht. Sie geht nah heran und sucht den Kern des Geschehens, den Punkt an dem der Konflikt Teil des Alltags ist – sie geht so nah heran, dass die Grenzen verschwimmen.
Sie ist nicht nur Beobachtende, Fremde, sondern sie ist auf einmal auch Betroffene, Nachbarin, wenn sie wie 2014 im israelischen Gazakrieg selbst die Fenster im Camp geschlossen halten muß, wegen der Tränengasbomben, wenn sie sozusagen „neben- bei“ auf arabischen Hochzeiten im Camp als Hochzeitsfotografin agiert, wenn sie mit rationiertem Wasser aus PET Flaschen duscht und mit den Frauen im Camp kocht und auch wenn der Sohn der befreundeten Nachbarsfamilie nicht mehr lebend nach Hause kommt.
Doch im Moment der künstlerischen Inszenierungen - denn das sind Verena Prenners Fotografien ganz offenkundig - exponiert sie niemanden, zeigt kein Gesicht, zerrt kein persönliches Leid vor die Linse. Ihre Fotografie befriedigt keinen Voyeurismus.
Sie transponiert die erlebte, alltägliche Nähe nicht durch plakative Zur-Schaustellung, sondern verhüllt für ihre Fotoarbeit stattdessen ihre Modelle. Trotz oder wegen der minutiösen soziologischen Untersuchung der Orte, Menschen, Konflikte und ihrer Zusammenhänge, begibt sie sich im Moment der künstlerischen Inszenierung in eine fast kindliche Losgelöstheit von der umgebenden Situation. Sie bleibt im kreativen Prozess bei sich. Erschafft aus sich selbst heraus, frei assoziierend Maskeraden und Kostüme aus den verschiedensten Materialien, die ihren Modellen in ihren jeweiligen Szenerien
Anonymi- tät und ihren Fotografien oftmals eine Versponnenheit und Absurdität verleihen. Es ist diese Leichtigkeit und Verspielheit, die den Betrachter in einer Weise berührt, die eine dokumentarische Fotografie an dieser Stelle nie erreichen könnte. Sie erzählt in einem Bild von der Gleichzeitigkeit aller Dinge.
Wirkliche Trophäen sind die Fotos hier an der Jagdhütte demnach aus meiner Sicht also nicht. Sie lassen den Abgebildeten zu viel Würde. Sie erzählen viel zu wenig Konkretes. Da Verena Prenner um die „räuberische Qualität“ der Fotografie weiß, schafft sie Intimität lieber durch Distanzierung. Wir sehen die Nähe dennoch, denn jeder von uns ahnt wohl, dass diese Form der Inszenierung ohne Berührung zwischen Fotografin und Modell gar nicht möglich wäre. Und natürlich sind diese Arbeiten letztlich auch ein foto- grafisches Zeugnis dafür, wo Verena Prenner gewesen ist. Ein Beweis für eine erfolgreich beendete Jagd nach einem gewünschten Motiv.
Ihre Mischung aus analytisch-soziologischer Betrachtung und einer persönlichen Fähigkeit zum Sich-Treiben-Lassen, Sich-Abkoppeln von der Welt gipfelt in einer zunächst absurden und immer auch humorvollen Bildsprache.
In der Gleichzeitigkeit und Kompromisslosigkeit ihres Schaffens bildet sie für mich auf schonungslose Weise die Komplexität unserer Welt ab. Das Unsägliche ist Teil der Normalität. Wir sind alle Akteur*innen. Das Leben ist ein dramatische Komödie. Wie schon William Shakespeare sagte: „All the world`s a stage!“ - Die ganze Welt ist eine Bühne! In diesem Sinne genießen sie auch heute die Vorführung und machen Sie sich ihre eigenen Gedanken über die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Jagdtrophäen und Fotografie.
Humor needs the human, Onion doll the woman
Dheisheh Refugee Camp I 2014
For four months now I have lived in a Palestinian refugee camp. The question “Are you crazy?” came from all sides, from Palestinian, Israeli and Austrian friends. The answer, “No”.
Refugee camps are unique social systems with an outstanding collective cohesion and an exciting field of research in sociological terms.
Because of the political stance in the camp, many nights are shaped by Israeli military operations and raids, which continue to trigger riots. The consequence: One side throws stones and is answered by tear gas all the way to live ammunition from the other.
Sleepless in the camp. Woken by the noise of the riots and the tear gas explosions, I sit in my flat. The windows are draughty, gas intrudes. The motto: Wait and see and hope that the riots will end soon.
For a second I ask myself: “What the hell am I doing here?” and I begin to reflect the situation. I am living in a Muslim dominated society. Alongside many very positive experiences, there are social aspects that my mind, socialized in a Western culture, finds hard to grasp.
An example: friendships between men and women. Socially it is still not seen as normal and quickly tainted with the attribute of “sex”. Women with women, men with men. Which is why my landlord told me, when I moved in, that visits of male friends were not permitted in my flat.
The smell of the tear gas reminds me of an advice of friends to halve an onion and inhale its volatile oils. They supposedly protect the body from taking in the tear gas. A short look into the kitchen, there were none.
Back on the old sofa in my living room with a cup of tea in my hands, I stare out of the window into the darkness. Here there are no street lamps. Tense, I listen out for the noise of the riots in the narrow lanes of the camp and try to gauge the distance of the clashes to my accommodation.
Suddenly I see the image of an onion doll before me. A combination of what is forbidden and what is helpful.
The next day I go to the market. Back with 15 kilograms of onion, one banana and four meters of wire, I attempt to build my doll as a sculpture. At an outdoor temperature of 35 degrees Celsius, the supposedly helpful smell of onions now turns into pain.
Weeks after the end of the Gaza War, everyday life seems to have returned to the camp and the nights are quieter again. But the image – the photograph of my sculpture – as an artistic reflection and memory remains.