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EUROPE NOW

 

 

Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit

Mouad Aboulhana (Marokko), Offerus Ablinger (Österreich), Maurício Adinolfi (Brasilien), Matthias Claudius Aigner (Österreich)

Filipe dos Santos Barrocas (Portugal / Brasilien), Black Panther (Republik Kongo), Gerhard Fresacher (Österreich), Roland Laimer (Österreich), Marijan Muskinja (Serbien), Ernst Niemand (Deutschland), Daria Orlowa (Russland), Carlos Perez (Guatemala / Österreich), Claudia Ungersbäck (Österreich) und Zvi Tolkovsky (Israel).

Text und Eröffnung: Swe Wolters

Auf seinem Misthaufen ist der Hahn König (Seneca)

 

Ein prächtiger Misthaufen füllt den Bildraum. Der als Hahn maskierte, nackte, dicke Mann hat da- rauf Platz genommen. Eine graue Wand im Hintergrund verwehrt jenen Weitblick über die Landschaft, die sich ein Hahn von der Erhöhung verspricht. Mit hängenden Schultern und den Händen im Schoß sitzt er trostlos da, resigniert und etwas lächerlich wirkend. Hinter ihm zieht sich ein tiefer Riss durch die Fassade, und ein dunkles Fenster, aus dem niemand schaut, lässt zumindest in der Vorstellung die Möglichkeit eines anderen Blickwinkels auf die Szene – eines, das seine Perspektive nachvollziehbar macht.

Europe Now heißt die Werkserie von Verena Prenner, die das Kernstück des gleichnamigen Ausstellungsprojekts bildet. Die sieben schwarz-weiß Fotografien aus dem Jahr 2013 dokumentieren den Hühnermann an seinem Misthaufen; mal sitzt er, streckt sich, dann spreizt er seine Arme wie Flügel vom Körper und führt in Halbhocke einen Hühnertanz auf. Durch die Titelgebung wird das Sujet politisch kontextualisiert, wobei unklar bleibt, ob sie deskriptiv gemeint ist oder als Appell, gar Imperativ zu lesen sei. Schwer zu leugnen, dass sich hier unweigerlich die Frage aufdrängt, in welchem Verhältnis Titel und Sujet stehen, Theorie und Werk – was denn am Anfang da war; das Wort oder das Bild...

 

Verena Prenners Arbeiten sind Reportagen; Milieustudien wie Experimente zugleich. Aus soziologischem Interesse bezieht sie gern Amateure in ihre Fotografien mit ein und porträtiert Zufallsbekanntschaften. Dem dokumentarischen Anspruch ihrer künstlerischen Arbeit geht üblicherweise ein Eingriff ins Geschehen voran: sie maskiert oder verhüllt ihre Protagonist/innen. Ein Trick, der eingangs lediglich das Fotografieren erleichtern sollte, weil es die Porträtierten die Kamera verges- sen lässt und zum natürlicheren Auftreten verhilft, wurde zu einem wichtigen Aspekt in Prenners Arbeit. Jede Maskierung ermächtigt, weil die Handlungen eine gewisse Freiheit genießen, wenn der/ die Maskierte, die Möglichkeit bekommt ein/e Andere/r zu sein.

Die Manipulation führt also immer auch ins Ungewisse. Auf diese Versuchsanordnung richtet sich Prenners Beobachtung.

Indem Verena Prenner Künstler/innen bat, ausgehend von ihrer Werkserie eigene künstlerische Beiträge zu gestalten, weitet sie ihr Experimentierfeld aus und begibt sich selbst ins Ungewisse. Das Herumreichen der Ideen und Bilder ließ ein Projekt entstehen, bei dem die Grenzen eines jeweiligen Werks nicht mehr eindeutig zu benennen sind und es schwer fällt zu unterscheiden, wer nun Protagonist/in und wer Urheber/in ist.

Mythos Europa

Aus der griechische Mythologie ist überliefert, dass die Königstochter Europe auf dem Rücken eines Stieres entführt und über das Mittelmeer nach Kreta gebracht worden sei. Dort gab sich das Tier als Zeus zu erkennen, dessen leichtfertige Liebschaften bekanntlich den Ausgangspunkt zahl- reicher Konflikte bilden. Der Erzählung nach ‚verführt‘ er Europe sogleich; sie gebiert ihm drei Söhne, heiratet später jedoch jemand anderen und wird Königin von Kreta.
Die deutsche Historikerin und Frauenforscherin Annette Kuhn hat nicht zu Unrecht auf die patriarchale Prägung dieser Überlieferung hingewiesen: Das Bild vom ‚Raub der Europa‘ gehe dem Mythos vom Sieg des Mannes über Unterlegene hervor und verdränge den ursprünglich matriarchalen Kulturstrang orientalischer Sagen im griechischen Europa-Mythos. Die Rezeption, wie sie in der Kunstproduktion des 19. Jahrhunderts weiter ausgebaut wurde, stellt Europa als die

Entführ- te dar, die in dieser Passivität den Männern als Symbolfigur für ihre Siege dient. Dabei stamme die Grundlage der Europa als einer Göttin auf der heiligen, kosmischen Kuh jedoch aus dem Orient und erzähle von der Begegnung der unterschiedlichen Kulturen im Raum der heutigen Türkei, des Irans, Israels, Palästinas, Syriens, Ägyptens und Kretas. In diesen Darstellungen ist Europa schon immer das Sinnbild für eine Kulturbringerin gewesen.

Das ambivalente Verhältnis zur Welt zwischen Ausbeutung und Bereicherung zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Kulturgeschichte. Das Prinzip der Aneignung ist kein modernes Phänomen. Subjektive Wahrnehmungen ließen aus dem Ausgangsstoff der Überlieferungen immer wieder etwas Neues entstehen, passten diesen stets an eigene Tradition an und dachten ihn weiter. Somit gehört zum Blick auf Europa immer schon eine Perspektive von Außen, erwächst doch jede Identität und Haltung aus dem Dialog.
Von der Welt oftmals bewundert, doch selbst in eine Krise verfallen, wird das von Europa gezeichnete (Selbst-)Bild aktuell zu einem Mythos der Gegenwart.

Das heutige Europa, wie es die hier versammelten Arbeiten zeigen, ist eine Karikatur; ein nackter Mann, der am großen Misthaufen einen Tanz aufführt – Projektionsfläche, Vorbild und Mahnung zugleich.

Fragment, Zitat, Variation und Wiederholung

Ganz im Sinne der Ambiguität des Altgriechischen xenos, das sowohl Fremder, als auch Gast und Freund bedeutet, versammelt das Projekt Kunstschaffede unterschiedlicher Herkunft und lässt durch die breite Palette vielfältiger Stilrichtungen und Medien eine Geistesgeschichte Revue passieren. Grenzen, die im Politischen nicht immer frei überschritten werden können, werden im freien Umgang mit bildschöpferischen Techniken mit Leichtigkeit überwunden.

Die Ansätze reichen von unterschiedlichen Europa-Bildern im übertragenen Sinn, über Eckpfeiler der (europäischen) Kunstgeschichte bis in gegenwärtige Popkulturen, bis hin zu Reflektionen der Kunst an sich und ihrer Produktionsprozesse. Somit gleicht die Ausstellung einer Schatzkammer von Ideen und Erinnerungen, Entwürfen und Kritiken.

Das Ausstellungsprojekt zeigt im gleichen Maße, dass im digitalen Zeitalter Kollaborationen eben- so auf Distanz gelingen können; man braucht seine Partner/innen nicht einmal mehr persönlich zu kennen, um gemeinsam wirkungsstarke Arbeiten zu realisieren. Angesichts der für zahlreiche Menschen noch vielerorts – in Europa und der Welt – unsicheren Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen bekommt diese Tatsache etwas bitter Ironisches. Glücklicherweise ist auch diese Barriere überwindbar, wie die in der Ausstellung versammelten Arbeiten beweisen.

 

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